Freitag, 30. Oktober 2009
Chinesische Trinkkultur
Die chinesische Trinkkultur hier im Norden ist wesentlich ausgeprägter als ich sie in Shanghai miterlebt habe. Das mag vielleicht an dem hartem Klima und dem fehlenden anderweitigen Angebot an kulturellen Freizeitbeschäftigungen, wie Kino, Theater etc., liegen. Hier im öden Nord-Westen Chinas ist Alkohol gerade während der kalten Wintermonate ein willkommener Zeitvertreib. So ist der Alkoholkonsum kultiviert worden und tief in der Gesellschaft verwurzelt.
Es wird bei jedem großen Essen getrunken. Das oberste Ziel ist es, die anderen „abzufüllen“, also betrunken zu machen. Gerade die Würdenträger und die wichtigsten Gäste stehen im Fokus. Es wird immer aus kleinen Gläsern zwischen 4cl und 10cl getrunken. Dabei trinkt nicht jeder für sich, sondern es wird immer zusammen angestoßen und entweder ein oder mehrere Schlucke getrunken oder das ganze Glas leer gemacht. Das letztere heißt „Ganbei“ und bedeutet soviel wie „Mach das Glas“ (alle). Dabei wird entweder auf eine Sache, zum Beispiel auf ein besonderes Ereignis, oder auf eine Person getrunken. Je mehr man trinkt und je höher der Alkoholgehalt, desto besser. Wenn man jemanden eine besondere Ehre erweisen möchte oder ein Ereignis besondert feiert, sollte man immer schön austrinken. Nach dem Trinken wird gerne das leere Glas präsentiert. Ist also dein Boss an der Reihe, immer alles weghauen! Beim Anstoßen muss man natürlich auf das höchste chinesische Höflichkeitsgebot achten. Man versucht den anderen immer besser aussehen zu lassen. Indem man beim Anstoßen das Glas seines Gegenübers tiefer trifft, bezeugt man metaphorisch, dass man sich „unterwirft“ und somit sehr höflich ist. Das eigene Glas muss also beim Anstoßen tiefer liegen als das des Anderen. Das führt zu Höchstleistungen bei der Bewegung der Gläser aufeinander zu. Zuerst gehe ich in einer 45° Steigung nach oben, um im letzen Moment voll nach unten zu ziehen. Bei Exzessen mit anderen deutschen Freunden geht es da schnell mal unter den Tisch. Außerdem ist es noch wichtig, sein Glas richtig zu halten. Eine Hand umgreift das Glas und die andere hält flach den Boden. So hält man es dankend beim Einschenken und Anstoßen sowie beim Präsentieren des leeren Glases. Auch die anderen „zu bedienen“, indem man ihnen einschenkt, gilt als Zeichen der Höflichkeit und steht meistens nur dem Gastgeber zu.
Es gibt drei Arten zum Trinken aufzufordern. Natürlich ist es in jedem Fall höflich zum Trinken einzuladen und steht auch daher eher dem Gastgeber zu. Möglichkeit Nr. 1 ist ein allgemeiner Anstoß plus Trinksprüchen bzw. Reden vom Gastgeber und manchmal noch eine erwidernde Danksprache vom Gast auf einen tollen Umstand, wie der guten Zusammenarbeit und/oder die Gäste. Möglichkeit Nr.2 ist die Runde zu machen. Das hat sogar einen eigenen Ausdruck und heißt „Jingjiu“. Dabei geht zuerst der Gastgeber herum und trinkt mit einem nach dem anderen bis er alle durch hat. Dabei wird immer eine kleine Dankes-, Lobes- oder „Gute Wünsche“- Rede für jede einzelne Person gehalten. Diese variiert in der Länge nach Status und Rang und wird natürlich vom aufgeforderten Gast erwidert. Dem obersten Gastgeber folgen die nächst Rang tieferen und am Ende dürfen sogar die Gäste ran. Das ganze ist eine krasse Belastung für den Magen, gerade wenn man selber gerade herumgeht, ist das Volumen meist ein Problem. Möglichkeit Nr. 3 sind die Trinkspiele. Auch hierbei kann einer der „Master“ sein und reihum mit jedem einmal spielen. Der Verlierer trinkt das ganze Glas und der Gewinner nimmt einen Schluck oder die Hälfte. Am häufigsten wird „Daquan“ (Große Faust) und „Xiaoquan“ (kleine Faust) gespielt, für Ausländer gibt es dann noch Schere-Stein-Papier. Bei „Daquan“ zeigen beide Spieler gleichzeitig eine Zahl mit einer Hand, also 0 bis 5, keine Extras. Dabei schreien sie eine Zahl von 0 bis 10 und gewinnen, wenn die Finger der beiden Hände, der eigenen und die des Gegners, zusammen die gerufene Zahl ergeben. Das geht so lange, bis einer zweimal gewinnt. Es gehört sich, beim Spielen die Zahlen möglichst laut zu rufen, ja, einen Kampfschrei loszulassen um den Gegner gleich einzuschüchtern und seine Energie frei zu lassen. Schattenseite ist die ungemeine Lärmbelastung in Restaurants, die Unterhaltungen empfindlich stören kann. Bester Anfängerfehler ist „Null“ zu rufen und mit seiner Hand eine „Eins“ zu zeigen. Kommt dennoch vor. „Xiaoquan“ ist einfacher, leiser und schneller, dafür aber weniger lustig. Beide zeigen wieder gleichzeitig einen Finger und versuchen dabei, den des Gegenübers zu schlagen: Daumen schlägt den Zeigefinger, Zeigefinger schlägt den Mittelfinger, etc., kleiner Finger schlägt den Daumen.

Als Getränke stehen traditionell Bier und Schnaps sowie moderner Wein zu Verfügung. Das Bier hat nur 3,6 Prozent und schmeckt auch sonst eher lasch. Definitiv kein Vergleich zur Deutschen Braukunst, man kann sich jedoch dran gewöhnen. Der Schnaps ist ein Kapitel für sich, wie sich vielleicht noch einige Verwandte vom letzten Weihnachten erinnern können. Nicht, dass er beim Trinken brennt, das ist für jeden Alkohol mit über 40% normal und Baijiu liegt normalerweise zwischen 40% bis 60%. Sein wirklicher Makel versteckt sich im Geschmack und der damit verbundenen Langzeitwirkung. Zuerst riecht er eigentlich gut, sehr fruchtig, doch wenn man das Zeug erst mal im Rachen hat, bekommt man eine anderes Gefühl davon. Ich habe noch nie einen so penetranten und ausdauernden Geschmack erlebt. Er legt sich auf den ganzen Rachen und Magen und geht auch nach Stunden nicht weg. Es gibt einfach kein Mittel, um den runter zu spülen und gerade heißer Tee, den man in China immer bei einem guten Essen trinkt, brennt auf den gereizten Häuten erbarmungslos. Bei jedem Anstoßen wird man erneut an den Alkohol erinnert, mit jedem Becher verstärkt sich der Effekt und Chinesen trinken gern und viel. So kapitulieren wir spätestens nach dem 4. Kurzen.
Den Wein, den wir bisher getrunken haben, kann man vergessen! Meist ist es mit Alkohol und Zucker (sowie einem gehörigen Schuss Chemie) angereicherter Traubensaft mit 8%. Das wird hier dann als „Roter Alkohol“, was auch Wein bedeutet, verkauft und schmeckt echt ekelig. Neben der krassen Süße stört vor allem der Waschmittelgeschmack. Letztendlich bevorzugen wir definitiv Bier.

Zusammenfassend möchte ich sagen, dass ich mich sehr mit der nordchinesischen Trinkkultur angefreundet habe, da sie jedes große Essen bereichert und zu einem Abenteuer macht. Auch Sprachbarrieren fallen schneller und die allgemeine Stimmung verbessert sich ungemein.

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